Fünf Fragen an … Sebastian Jeanvré

Sebastian Jeanvré, Geschäftsführer der EWD Benli Recycling GmbH & Co. KG, beschreibt sich als „Recycler aus Leidenschaft“. Im Interview spricht er über die Chancen und Herausforderungen des Schiffsrecyclings in Deutschland, die kommende Welle ausgemusterter Windräder und zu lange Genehmigungsprozesse.
Die EWD Benli Recycling GmbH & Co. KG ist das erste deutsche Unternehmen mit einer Zertifizierung für den Rückbau von Schiffen. Wann starten Sie?
Da die Einspruchsfrist unserer angestrebten Genehmigung gerade ohne Widerspruch verstrichen ist, rechnen wir mit einem Betriebsstart im zweiten Quartal. Dann werden wir auf dem Gelände unserer seit 1903 bestehenden Reparaturwerft erstmals Schiffe vollständig zerlegen. Den wiedergewonnenen anthropogenen Stahl werden wir anschließend umweltfreundlich auf dem Wasserweg direkt an Stahlwerke wie zum Beispiel Bremen und Salzgitter liefern.
Die Schifffahrtsorganisation BIMCO erwartet eine Verdoppelung bis Verdreifachung des Recyclingbedarfs in den kommenden Jahren. Wie konkurrenzfähig ist Ihr Unternehmen gegenüber etablierten Standorten in Fernost und der Türkei?
Bei großen Schiffen könnten wir preislich nicht mithalten. Unsere Nische sind eher kleine Binnen-, Küsten-, Behörden- und Marineschiffe aus Deutschland mit einer Bruttoraumzahl von maximal 500, die wir zu wettbewerbsfähigen Preisen hier in Emden zerlegen können. Ich fände es auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll, die so gewonnenen wertvollen Sekundärrohstoffe im Land zu behalten.
Technisch wären sogar Containerschiffe der Post-Panamax-Klasse möglich, also bis 260 Meter Länge und 40 Meter Breite, doch wirtschaftlich wäre das nicht rentabel. Allerdings könnten wir ein in der Nordsee havariertes Schiff dieser Größenordnung durchaus bei uns reparieren oder komplett zerlegen, sollte das Havariekommando uns das zuweisen.
Grundsätzlich ist das Schiffsrecycling für uns überhaupt nur wirtschaftlich, weil wir dafür auf die Infrastruktur unserer Reparaturwerft zurückgreifen können. Kräne, Docks und Kaianlagen sind in Emden vorhanden. Eine Recyclingwerft auf der „grünen Wiese" zu errichten, wäre nach meiner Überzeugung finanziell nicht tragfähig.
Auch die Offshore-Branche meldet steigenden Recyclingbedarf. Sind Sie auf ausgemusterte Windkraftanlgen vorbereitet?
Ja. Wir können Offshore-Windräder in Emden anlanden, die 60 bis 80 Meter langen Flügel zerkleinern und entsorgen. Wir planen zudem ein Forschungsprojekt, um nachhaltigere Lösungen zu entwickeln. Leider wurde bei der Errichtung der Windparks kaum über die spätere Entsorgung nachgedacht, sodass Rotorblätter heute teils illegal deponiert werden. Mit der wachsenden Zahl ausgemusterter Anlagen steht die Industrie vor einer großen Herausforderung.
Viele Unternehmen in Deutschland klagen über Bürokratie. Wie sehen Sie das?
Gerade der Mittelstand leidet darunter. Unser Genehmigungsprozess dauerte zweieinhalb Jahre und beinhaltet eine wesentliche Investition. Ohne einen Investor wie Benli hätten wir das als ReLog kaum stemmen können. Ich setze mich leidenschaftlich für Recycling und Umweltverträglichkeit ein, wünsche mir aber praxisnahe Lösungen, die den realen Bedingungen in einem Hafenbetrieb gerecht werden. Auf der anderen Seite möchte ich betonen, dass das Umweltbundesamt und auch das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg uns vor Ort immer helfend und beraten zur Seite standen, wenn es wieder einmal darum ging, genehmigungsrechtliche Hürden zu überwinden.
Welche Vorteile bringt Ihre Mitgliedschaft im Maritimen Cluster Norddeutschland?
Als Quereinsteiger in der maritimen Branche habe ich enorm von diesem Netzwerk profitiert. Susanne Neumann und ihr Team von der Geschäftsstelle Niedersachsen haben mich mit wertvollen Kontakten und Informationen unterstützt. Die maritime Wirtschaft tickt anders als die Recyclingbranche, und fachlich prallen zwei Welten aufeinander. Ein Schiff, das zerlegt wird, wird rechtlich vom Produkt zu Abfall und fällt damit unter das Abfallrecht. Da greifen dann ganz andere Regelungen, beispielsweise das Bundes-Immissionschutzgesetz. Das muss man wissen. Gerade an dieser Schnittstelle ist der interdisziplinäre Austausch, wie er vom Cluster gefördert wird, das A und O.
Über Sebastian Jeanvré
Dr.-Ing. Sebastian Jeanvré (43) begann seine Karriere mit einer Ausbildung zum Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, studierte Recycling an der FH Braunschweig/Wolfenbüttel und promovierte an der TU Clausthal. Er war als Wissenschaftler, Geschäftsführer und Unternehmer in der Recyclingbranche tätig. Aktuell leitet er u.a. die EWD Benli Recycling GmbH & Co. KG, ein Tochterunternehmen der Benli-Gruppe, die in einer Arbeitsgemeinschaft mit Jeanvrés Braunschweiger ReLog GmbH das neue Geschäftsfeld Schiffsrecycling entwickelt.